Wer nach der Scheidung erneut heiratet, muss mit einer Reihe von Unterhaltspflichten kalkulieren. Gibt es Kinder aus der ersten Ehe, sind diese genauso unterhaltsberechtigt wie Kinder, die in der zweiten Ehe geboren werden. Ist der Partner aus der ersten Ehe finanziell bedürftig, besteht Anspruch auf Unterhalt, genauso wie der Partner aus der zweiten Ehe Anspruch auf Familienunterhalt hat. Um das verfügbare Einkommen mehr oder weniger gerecht zu verteilen, stellt das Gesetz eine Rangfolge auf. Oft liegt ein Mangelfall vor, der unterhaltsrechtlich eigenen Regeln folgt.
Warum fühlen sich Mitglieder der „neuen“ Familie ungerecht eingestuft?
Heiratet ein Elternteil nach der Scheidung erneut, ist er gegenüber den Kindern aus der früheren Ehe unterhaltspflichtig. Ein Problem ergibt sich dann, wenn der Elternteil seiner Verantwortung gegenüber den Kindern gerecht werden möchte und sich in der Betreuung der Kinder engagiert. Solange die Kinder nicht gleichermaßen (paritätisch) im Wechselmodell betreut werden, ist gängige Rechtsprechung, dass die Verpflichtung zur Zahlung des nach der Düsseldorfer Tabelle berechneten Kindesunterhalts unverändert bleibt. Dies gilt auch dann, wenn der betreuende Elternteil wesentlich mehr verdient als der unterhaltspflichtige Elternteil.
Unterhaltspflicht des Ex-Partners erst ab echtem Wechselmodell
Die Unterhaltspflicht des betreuenden Elternteils würde sich erst begründen lassen, wenn die Kinder im paritätischen Wechselmodell gleichermaßen betreut werden würden. Die Rechtsprechung steht auf dem Standpunkt, dass die volle Unterhaltszahlung bestehen bleibt, und zwar auch dann, wenn die Betreuungszeit nur geringfügig abweicht.
Ex-Partner auf Unterhaltszahlung vielleicht gar nicht angewiesen
Der unterhaltspflichtige Elternteil sieht sich deshalb oft mit dem Problem konfrontiert, dass für die neue Familie kaum Geld bleibt und die Ungerechtigkeit begründet ist, dass der betreuende und vielleicht gut verdienende Elternteil Kindesunterhalt bezieht, obwohl er oder sie auf die Unterhaltszahlung überhaupt nicht angewiesen ist, während der barunterhaltspflichtige und vielleicht schlechter verdienende Elternteil unangemessen finanziell belastet wird.
Dass sich daraus Reformbedarf ergibt, ist unbestritten. Ziel ist, dass sich eine über den gewöhnlichen Umgang hinausgehende Betreuung auch für den unterhaltspflichtigen Elternteil finanziell positiv auswirken müsse.
Auch der umgekehrte Fall ist denkbar
Eine ähnliche Situation kann sich einstellen, wenn der geschiedene und der neue Ehegatte unterhaltsrechtlich konkurrieren. Betreut der neue Ehegatte ein Kleinkind, ist er vorrangig unterhaltsberechtigt und zwar auch dann, wenn der geschiedene Ehegatte beispielsweise krankheitsbedingt unterhaltsbedürftig und auf die finanzielle Unterstützung des Ex-Partners angewiesen wäre.
Wie bestimmen die Rangverhältnisse die Unterhaltsberechnung?
Beispiel: Herr Müller ist geschieden. Aus der Ehe sind vier Kinder hervorgegangen, zwei sind noch minderjährig und leben bei der geschiedenen Frau Müller. Ein drittes Kind ist 19 Jahre alt und in der Berufsausbildung, das vierte Kind ist volljährig und hat seine Berufsausbildung abgeschlossen. Nach der Scheidung hat Herr Müller erneut geheiratet. In der zweiten Ehe wurde ein weiteres Kind geboren.
Bestehen mehrere Unterhaltspflichten, muss das verfügbare Einkommen des Unterhaltspflichtigen nun aufgeteilt werden. Diese Situation ist eine besondere Problematik im Unterhaltsrecht und führt zu teils hochgradig komplexen Unterhaltsberechnungen.
Unterhaltstitel im Mangelfall nicht mehr bindend
Muss eine Mangelfallberechnung erfolgen, sind nicht die titulierten Beträge des Kindesunterhalts, sondern die sich aus einer aktuellen Unterhaltsberechnung ergebenden Beträge in die Mangelfallberechnung einzustellen. Für minderjährige Kinder zählt regelmäßig der Mindestunterhalt, auch wenn ein höherer Titel existiert. Ergeben sich Differenzen zu den titulierten Beträgen, ist der Unterhaltsschuldner gehalten, eine Abänderung in Höhe der nach der Mangelfallberechnung bestehenden Ansprüche zu beantragen. § 1609 BGB bestimmt eine Rangfolge mehrerer Unterhaltsberechtigter.
1. Rang: Minderjährige Kinder und privilegierte Kinder
Info: Privilegierte Kinder sind Kinder bis zur Vollendung des 21 Lebensjahres, die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befinden und im Haushalt eines Elternteils leben.
2. Rang: Elternteile, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind
…oder im Fall einer Scheidung unterhaltsberechtigt wären sowie Ehegatten und geschiedene Ehegatten bei Ehen von langer Dauer.
In diesem Rang stehen auch der Unterhaltsanspruch der nicht verheirateten Mutter, die wegen der Betreuung Ihres Kleinkindes unterhaltsberechtigt ist (§ 1615l BGB).
3. Rang: Ehegatten und geschiedene Ehegatten, die nicht unter Nr. 2 fallen
Sowie…
4. Rang: Kinder, die nicht unter Nr. 1 fallen
Reicht das verfügbare Einkommen nicht aus, sämtliche Unterhaltsansprüche zu bedienen, liegt ein Mangelfall vor. Danach bestimmt die Rangfolge, welche Unterhaltsansprüche vorrangig, gleichrangig oder nachrangig zu bedienen sind. Dabei sind im Hinblick auf die unterhaltsberechtigte Person der jeweilige Selbstbehalt zu berücksichtigen.
Im Beispiel von oben ergeben sich folgende Erkenntnisse:
- Die beiden minderjährigen Kinder (1. Rang) aus der ersten Ehe sowie das in der neuen Ehe geborene minderjährige Kind (1.Rang) sind unterhaltsrechtlich gleichrangig.
- Gleichrangig mit den minderjährigen Kindern ist das volljährige Kind (1. Rang) aus der ersten Ehe, das sich noch in der Berufsausbildung befindet. Es hat vom Rang her den gleichen Unterhaltsanspruch wie die minderjährigen Geschwister.
- Das volljährige Kind aus erster Ehe mit abgeschlossener Berufsausbildung hat keinen Anspruch auf Unterhalt, es sei denn, es würde unverschuldet auf die finanzielle Unterstützung des Elternteils angewiesen sein. In diesem Fall würde es den Rang 4 einnehmen.
- Geht es um den Unterhaltsanspruch von Ehepartnern aus erster und zweiter Ehe, ist zu differenzieren, ob der geschiedene Ehegatte gegenüber dem neuen Ehegatten vorrangig, gleichrangig oder nachrangig unterhaltsberechtigt ist. Die Details ergeben sich aus § 1609 Nr. 2 und 3 BGB). Vorrangig sind jedenfalls Ehegatten, die wegen der Betreuung eines Kindes unterhaltsberechtigt sind oder im Fall einer Scheidung unterhaltsberechtigt wären.
Da die zweite Ehefrau von Herrn Müller das in der zweiten Ehe geborene minderjährige Kind betreut, steht sie im zweiten Rang und hat Anspruch auf Familienunterhalt. Bei der Unterhaltsbemessung ist aber nicht der Anspruch auf Familienunterhalt heranzuziehen, vielmehr ist auf den hypothetischen Unterhaltsanspruch für den Fall einer potenziell möglichen Scheidung abzustellen (BGH FamRZ 2010, 111). Dem neuen Ehegatten kann insoweit auch ein theoretisch erzielbares fiktives Einkommen zugerechnet werden, dass er/sie erzielen würde, wenn er/sie nach der Scheidung in zumutbarer Art und Weise eigenes Geld verdienen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der bestehende Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nicht über Gebühr geschmälert werden darf. Da zudem die zweite Ehe durch die Unterhaltspflicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten geprägt ist, ist diese Unterhaltsverpflichtung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs des neuen Ehegatten zu berücksichtigen.
Die Beurteilung wäre anders, wenn die zweite Ehefrau kein Kind zu betreuen hätte. Sie wäre dann im Rang 3 einzuordnen und stünde der geschiedenen Frau Müller im Rang gleich.
- Da die in erster Ehe geschiedene Frau Müller krankheitsbedingt Unterhalt bezieht, steht sie in der Rangfolge auf Platz 3 und ist damit unterhaltsrechtlich der zweiten Ehefrau nachgeordnet. Anders wäre es, wenn Frau Müller gleichfalls noch ein minderjähriges Kind bis zum dritten Lebensjahr betreuen würde und Anspruch auf Betreuungsunterhalt hätte. Dann wäre sie gleichrangig mit der neuen Ehefrau im Rang 2 einzustufen. Gleiches käme in Betracht, wenn die Ehe der Eheleute Müller von langer Dauer gewesen wäre und sich daraus ein besonderer Unterhaltsanspruch ergeben würde. Eine Ehe von langer Dauer setzt eine Ehedauer von etwa 20 Jahren voraus.
Wem gehört der Splittingvorteil?
Heiratet der Unterhaltspflichtige erneut, wird er in die steuergünstige Steuerklasse III eingestuft und zusammen mit seinem Ehepartner gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt, kommt der daraus entstehende Splittingvorteil allen unterhaltsberechtigten Kindern zugute, also auch den Kindern aus der früheren Ehe. Daher ist für die Berechnung des Unterhalts der gleichrangigen Kinder der früheren Ehe das tatsächliche Nettoeinkommen des Elternteils zugrunde zu legen. Bezieht allerdings der neue Ehegatte eigene steuerpflichtige Einkünfte, ist der Splittingvorteil auf den Unterhaltspflichtigen und den neuen Ehegatten nach dem Maßstab einer fiktiven Einzelveranlagung beider Ehegatten aufzuteilen (BGH FamRZ 2008, 2189).
Geht es um die Bemessung des Ehegattenunterhalts der ersten Ehefrau, bleibt der Splittingvorteil aus der zweiten Ehe bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs außer Betracht. Dieser Vorteil verbleibt der neuen Familie.
Ob die "zweite" Familie gegenüber der "ersten" im Nachteil ist, lässt sich so pauschal nicht behaupten. In der Praxis gibt es aber immer wieder Fälle, in denen sich derartige Nachteile durchaus auswirken. Denn je mehr Unterhaltsberechtigte es gibt, desto größer ist der Verteilungskampf und desto schwieriger ist die Unterhaltsberechnung. Die Rechtsprechung versucht, dieser Problematik so gut es geht gerecht zu werden. Dies führt zu der Konsequenz, dass Unterhaltsberechnungen im Mangelfall wie höhere Mathematik erscheinen und ohne eine professionelle anwaltliche Begleitung kaum zu bewältigen sind.