Verwirkung ist ein Rechtsbegriff. Er bedeutet einfach gesagt, dass der Anspruch auf Kindesunterhalt aus besonderen Gründen nicht mehr geltend gemacht werden kann. Der Anspruch ist dann verwirkt. Sind Sie selbst unterhaltsberechtigt, wird der Anspruch bestenfalls auf ein Niveau herabgesetzt, das der „Billigkeit“ entspricht. Auch Billigkeit ist ein Rechtsbegriff. Er bedeutet so viel wie angemessen, fair und gerecht. Lassen Sie uns darüber sprechen, was Verwirkung genau ist und unter welchen Voraussetzungen Ihr Anspruch auf Kindesunterhalt entfällt oder Sie umgekehrt die Zahlung von Kindesunterhalt verweigern können.
Tipp 1: Kindesunterhaltspflicht ist die Regel, Verwirkung die Ausnahme
Nehmen Sie nicht jedes anstößige Verhalten Ihres Kindes zum Anlass, den Kindesunterhalt zu verweigern. Das Verhalten des Kindes muss vorwerfbaren Charakter haben, so dass es Ihnen nicht zuzumuten ist, auf Ihre Unterhaltspflicht verwiesen zu werden.
Tipp 2: Vergleichen Sie Ihre Situation mit gerichtlich entschiedenen Fällen
Geht es um Verwirkung, empfiehlt sich, sich im Hinblick auf die interpretationsbedürftigen Formulierungen im Gesetzestext an Einzelfällen zu orientieren, die die Gerichte bereits entschieden haben.
Tipp 3: Verwirkung tritt bereits vor Verjährung ein
Im Unterschied zur Verjährung kann die Verwirkung des Kindesunterhalts bereits früher eingetreten sein. Hat das Kind seinen Anspruch auf Kindesunterhalt also verwirkt, kommt es auf den Eintritt der Verjährung nicht mehr unbedingt an.
Als Elternteil sind Sie gegenüber Ihrem Kind unterhaltspflichtig. Insbesondere sind Sie verpflichtet, Ihrem Kind eine angemessene Berufsausbildung zu finanzieren. Meist wird die Unterhaltspflicht streitig, wenn Sie sich von Ihrem Ehepartner trennen und Sie das Kind nicht mehr in Ihrem Haushalt betreuen und Sie den Unterhalt in Form von Bargeld leisten müssen.
Ihre Unterhaltspflicht besteht bedingungslos gegenüber einem minderjährigen Kind und einem privilegierten volljährigen Kind. Ihr volljähriges Kind gilt als privilegiertes Kind, wenn es das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet und noch im Haushalt eines Elternteils wohnt. Ihre Unterhaltspflicht besteht darüber hinaus, wenn Ihr Kind aufgrund seiner Lebensumstände bedürftig ist und Ihrer finanziellen Unterstützung bedarf. Dies kann der Fall sein, wenn Ihr Kind studiert. Dann sind Sie bis zum Abschluss des Studiums zumindest in der Regelstudienzeit unterhaltspflichtig.
Wenn Sie den Begriff der Verwirkung im Zusammenhang mit Kindesunterhalt lesen, sollten Sie ungefähr wissen, was er bedeutet. Der Begriff Verwirkung ist im Gesetz nicht definiert. Verwirkung hat drei Voraussetzungen:
Das Bürgerliche Gesetzbuch greift in § 1611 BGB genau diesen Sachverhalt auf. Diese Vorschrift enthält eine sogenannte Einwendung, mit der Sie den Unterhaltsanspruch des Kindes zu Fall bringen können oder umgekehrt als Kind den Anspruch auf Kindesunterhalt verlieren.
Expertentipp: Verwirkung setzt also immer voraus, dass es ungerecht, unfair und nicht angemessen wäre, dem Kind Kindesunterhalt zuzuerkennen. Der Anspruch entspräche nicht der Billigkeit. Deshalb reicht
Diese Umstände sind nicht hinreichend, um eine Verwirkung des Kindesunterhalts zu begründen.
Wie wird der Kindesunterhalt berechnet? Erfahren Sie, was Sie beim Kindesunterhalt beachten müssen.
Das Gesetz bezeichnet im Hinblick auf den Kindesunterhalt drei Fälle, in denen der Anspruch auf Kindesunterhalt verwirkt sein kann. Da der Gesetzestext mit interpretierungsbedürftigen Begriffen arbeitet, gibt es eine Reihe von gerichtlichen Entscheidungen, in denen anhand von Einzelfällen konkret herausgearbeitet wurde, ob der Anspruch auf Kindesunterhalt tatsächlich verwirkt wurde oder nicht.
Ein sittliches Verschulden kommt in Betracht, wenn sich das Kind eine Spiel-, Alkohol- oder Drogensucht vorwerfen lassen muss (OLG Hamm FamRZ 2007,165). Der Verschuldensvorwurf muss für seine Bedürftigkeit ursächlich sein.
Hat das Kind einen Selbstmordversuch unternommen, ist der Anspruch auf Kindesunterhalt nur verwirkt, wenn das Kind dessen Fehlschlagen und den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit als Folge bewusst ins Auge gefasst und sich rücksichtslos darüber hinweggesetzt hat (BGH FamRZ 1989, 1054).
Der Anspruch auf Kindesunterhalt kann verwirkt sein, wenn Sie dem Kind eine Ihnen oder einem nahen Angehörigen gegenüber begangene schwere Verfehlung vorwerfen können. Sie kommt aber in der Regel nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange in Betracht (BGH FamRZ 2004, 1559). Um diese Beeinträchtigung festzustellen, kommt es auf eine umfassende Abwägung aller maßgeblichen Umstände an, bei denen auch Ihr eigenes Verhalten angemessen zu berücksichtigen ist.
Einzelfälle:
Gut zu wissen: Ist Ihr Kind minderjährig, kann es seinen Unterhaltsanspruch nicht verwirken (§ 1611 Abs. II BGB). Deshalb schließen Verfehlungen Ihres Kindes, die im Zeitraum seiner Minderjährigkeit zu beanstanden sind, den Kindesunterhalt nicht aus. Dies gilt auch, wenn das Kind volljährig ist und den Kindesunterhalt für einen Zeitraum geltend macht, in dem es noch minderjährig war. Entscheidend ist allein, wann die Verfehlungen erfolgt sind.
Ist Ihr Kind ein privilegiertes volljähriges Kind (Details siehe oben), können vorwerfbare Verfehlungen den Anspruch auf Kindesunterhalt allerdings zu Fall bringen, da die maßgebliche Vorschrift des § 1611 BGB auf privilegierte volljährige Kinder nicht anwendbar ist (KG Berlin, Beschluss v. 27.1.2016, Az. UF 234/14). Allerdings beschränkt sich die Verwirkung auch hier auf besonders schwere Ausnahmefälle, bei denen auch die Umstände der Trennung und Scheidung der Eltern und die sich daraus ergebende Eltern-Kind-Beziehung abzuwägen sind (BGH Az. ZR 240/93).
In einer Reihe von Fällen geht es um das Problem, dass der Kindesunterhalt infolge Zeitablaufs verwirkt ist, so dass es auf den Eintritt der Verjährung nicht ankommt. Die Verwirkung rechtfertigt sich daraus, dass von einem Kind, das lebensnotwendigerweise auf Unterhaltszahlungen angewiesen ist, zu erwarten ist, dass es sich zeitnah um die Durchsetzung seines Anspruchs bemüht (BGH, Az. ZR 7/87). Umgekehrt dürfe der unterhaltspflichtige Elternteil darauf vertrauen, dass er nach Ablauf eines gewissen Zeitraums nicht mehr auf Zahlung von Unterhalt in Anspruch genommen wird. Meist geht es um Fälle des Kontaktabbruchs zwischen Kind und Elternteil.
Der Kontaktabbruch erfordert im Regelfall aber weitere Umstände, die das Verhalten des Kindes auch als schwere Verfehlung erscheinen lassen. In einem Fall des BGH (Beschluss v. 3.5.2017, Az. XII ZB 415/16) wurde die Unterhaltsverpflichtung eines Elternteils für unzumutbar gehalten, da das Kind bei Studienbeginn bereits 26 Jahre alt war und der Elternteil sechs Jahre nach dem Abitur nicht mehr mit Ausbildungskosten habe rechnen müssen. Mithin entscheidend war, dass der Elternteil infolge des fehlenden Kontakts keine Kenntnisse vom Lebensverlauf der Tochter hatte und erst durch die Aufforderung des Studentenwerkes zur Auskunft über seine finanziellen Verhältnisse Kenntnis von der Studienaufnahme seiner Tochter erhielt. Zudem hatte er die Tochter 10 Jahre lang nicht mehr gesehen. Sein Vertrauen darauf, dass der Elternteil keine Unterhaltspflichten mehr zu erfüllen habe, sei insoweit schützenswert.
Allgemein dürfen Sie davon ausgehen, dass die Verwirkung des Kindesunterhalts infolge Zeitablaufs bereits dann in Betracht kommt,
Lässt sich die Verwirkung des Kindesunterhalts begründen, hat das Kind nur noch Anspruch auf Kindesunterhalt, soweit es der Billigkeit entspricht. Der Anspruch auf Kindesunterhalt und umgekehrt Ihre Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt fällt vollständig weg, wenn Ihre Inanspruchnahme grob unbillig wäre (§ 1611 BGB). Billigkeit bedeutet, dass es fair, angemessen und gerecht sein muss, im Hinblick auf die Gegebenheiten Unterhalt fordern zu können oder Unterhalt zahlen zu müssen.
Verwirkung bedeutet aber nicht unbedingt, dass der Anspruch auf Kindesunterhalt sich auf Null reduziert. Dabei sind insbesondere die Schwere der Verfehlung unter Einbeziehung des Verschuldens, eventuelle Erziehungsfehler des Elternteils oder der Elternteile, die wirtschaftliche Belastung der Beteiligten oder die Dauer der Unterhaltspflicht einzubeziehen. Auch spielt es eine Rolle, ob sich das volljährige Kind noch in der Schulausbildung befindet und in besonderem Maße auf Unterhalt angewiesen ist.
Gut zu wissen: Haben Sie Ihrem Kind ein eventuelles Fehlverhalten verziehen, können Sie sich nicht mehr auf Verwirkung berufen. Sofern Sie sich auf eine Verwirkung berufen, müssen Sie darlegen und zur Überzeugung des Gerichts beweisen, dass der Anspruch auf Kindesunterhalt tatsächlich verwirkt ist (OLG Celle FamRZ 2015, 71). Umgekehrt muss das Kind beweisen, dass Sie ihm sein Fehlverhalten verziehen haben.
Die Verwirkung wird dann praktisch wichtig, wenn durch den Zeitablauf noch keine Verjährung eingetreten ist und das Kind Unterhalt einfordert. Zwar kann das Kind Unterhalt für die Vergangenheit nur fordern, wenn es Sie zur Zahlung aufgefordert hat oder Sie aufgefordert wurden, über Ihre Einkünfte und Ihr Vermögen Auskunft zu erteilen. Sie sind dann in Verzug gesetzt worden. Ungeachtet dessen verjährt der Anspruch auf Kindesunterhalt, wenn er drei Jahre lang nicht geltend gemacht wurde. In der Rechtsfolge geht die Verwirkung aber wesentlich weiter als die Verjährung.
Die Verjährung begründet nämlich nur eine Einrede (Sie wehren sich gegen einen Ihnen gegenüber gestellten Anspruch), auf die Sie sich als Unterhaltsschuldner ausdrücklich berufen müssen. Der Anspruch auf Kindesunterhalt besteht dann zwar in der Sache fort, kann aber wegen der Verjährung nicht mehr geltend gemacht werden. Solange Sie sich nicht auf die Verjährung berufen, würden Sie in einem Unterhaltsprozess zur Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt.
Die Verwirkung hingegen ist eine sogenannte Einwendung. Sie führt dazu, dass sie den Anspruch auf Kindesunterhalt auch in der Sache beseitigt und der Richter diese im Prozess von Amts wegen berücksichtigen muss. Der Anspruch auf Kindesunterhalt besteht dann auch in der Sache nicht mehr.
Gehen Sie dem Grundsatz nach davon aus, dass Ihre Verpflichtung zur Zahlung von Kindesunterhalt die Regel ist. Sofern Sie sich auf die Verwirkung von Kindesunterhalt berufen, beanspruchen Sie eine Ausnahme. Dafür sind Sie darlegungs- und beweispflichtig. Im Idealfall verständigen Sie sich mit dem Kind auf eine Regelung, mit der Sie beide leben können. Für beide Parteien sollte die Erwägung im Vordergrund stehen, dass das Recht auf und die Pflicht zur Zahlung von Kindesunterhalt besser zu kalkulieren sind, wenn sich beide Parteien verständigen und es nicht unbedingt auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit ungewissen Ausgang ankommen lassen. Lassen Sie sich möglichst frühzeitig anwaltlich beraten, bevor Sie ungewisse Ansprüche erheben oder möglicherweise begründete Ansprüche abweisen.
Geschrieben von: iurFRIEND-Redaktion