Ein geschiedener Ehegatte kann vom besser verdienenden Ex-Ehegatten nur dann Geschiedenenunterhalt verlangen, wenn einer der gesetzlichen Unterhaltstatbestände vorliegt oder die Ehe von langer Dauer war. Einer dieser Unterhaltstatbestände regelt den Aufstockungsunterhalt. Der Anspruch kommt in Betracht, wenn der schlechter verdienende Ex-Ehegatte zwar einer angemessenen Erwerbstätigkeit nachgeht, aber das daraus erzielte Einkommen für seinen vollen Lebensunterhalt nicht ausreicht. Voller Lebensunterhalt bedeutet dabei das Einkommen, das in der Ehe zur Verfügung stand. Wann und unter welchen Voraussetzungen dieser Unterhalt beansprucht werden kann und wie Sie den Aufstockungsunterhalt berechnen können, lesen Sie in diesem Artikel.
Zu den Grundlagen sollten Sie Folgendes wissen: Zwar gilt nach einer Scheidung regelmäßig der Grundsatz der Eigenverantwortung, wonach jeder frühere Ehegatte seinen Lebensunterhalt selber sicherzustellen hat, aber manchmal ist es einem der geschiedenen Ehegatten nicht möglich oder kann ihm nicht zugemutet werden, seinen „gesamten Lebensbedarf“ mit den Einkünften aus einer eigenen angemessen Erwerbstätigkeit zu finanzieren. Geht nun einer der Geschiedenen einer angemessenen Erwerbstätigkeit nach, reicht diese aber nicht für den vollen Unterhalt aus, kommt ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2 BGB gegen den anderen Geschiedenen in Betracht. „Voller“ Unterhalt bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Einkommen des Anspruchstellers nicht zur Deckung des in der Ehe gewohnten Lebensstandards ausreicht.
Hintergrund für den Anspruch auf Aufstockungsunterhalt (und auch für die anderen Ansprüche auf Geschiedenenunterhalt) ist die nacheheliche Solidarität. Genau definieren lässt sich diese allerdings nicht. Vielmehr wird dazu auf die Entwicklung der früheren Ehegatten zu einer Familie unter gegenseitiger Rücksichtnahme im beruflichen Fortkommen und der Kinderbetreuung sowie der wirtschaftlichen Verflechtung der Geschiedenen abgestellt, die sich aus der jeweils einzelnen Ehe ergeben. Damit erstreckt sich die Beurteilung der nachehelichen Solidarität auf den konkreten Einzelfall. Generell wirkt die eheliche Solidarität umso länger fort, je länger die Dauer der Ehe war. Je weiter jedoch die Scheidung zurückliegt, desto mehr tritt eine Entflechtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein, mit der Folge, dass auch die geschuldete eheliche Solidarität begrenzt ist. Damit beinhaltet die Dauer der Ehe für sich genommen keine endlose Lebensstandardgarantie.
Der Anspruch als eine Form des Geschiedenenunterhalts besteht daher nicht lebenslang. Entscheidend sind vielmehr die individuellen Verhältnisse, die sich aus der jeweiligen Ehe ergeben. Hinzu kommt, dass auch der Aufstockungsunterhalt wegen Unbilligkeit herabgesetzt und / oder zeitlich begrenzt werden kann, § 1578b BGB. Dabei spielen insbesondere die durch Ehe erlittenen Nachteile (ehebedingten Nachteile) eine Rolle. Das Familiengericht trifft also auch beim Anspruch auf Aufstockungsunterhalt eine Billigkeitsentscheidung unter Einbeziehung sämtlicher Umstände.
Eine Besonderheit bei diesem Anspruch besteht darin, dass er zurücktritt, wenn andere gesetzliche Unterhaltstatbestände wie Kinderbetreuung, Alter sowie Krankheit und Gebrechen einen Anspruch auf Geschiedenenunterhalt begründen. Hierbei setzen die anderen Tatbestände für den Unterhaltsanspruch ein vollständiges Erwerbshindernis voraus. Dagegen knüpft der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt gerade daran an, dass kein Erwerbshindernis besteht, sondern der berechtigte geschiedene Ehegatte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt.
Expertentipp: Besteht ein teilweises Erwerbshindernis (etwa wegen der Betreuung eines Kindes von über 3 Jahren), kommt zusätzlich zum verwirklichten Unterhaltstatbestand ein Anspruch auf Aufstockungsunterhalt in Betracht.
Für den Anspruch müssen neben einer früher bestehenden ehelichen Gemeinschaft die folgenden Voraussetzungen erfüllt sein:
Zunächst kann der Aufstockungsunterhalt nur dann beansprucht werden, wenn es sich um keine Ehe von kurzer Dauer gehandelt hat, also die Ehe mindestens mehr als zwei Jahre bestanden hat. Hintergrund ist, dass bei Ehen von kurzer Dauer ein Verwirkungsgrund vorliegt und damit grundsätzlich kein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt besteht. Denn dieser wird wegen grober Unbilligkeit nach § 1579 Nr. 1 BGB regelmäßig vom Familiengericht versagt.
Weiterhin setzt der Anspruch voraus, dass kein vollständiges Erwerbshindernis beim Anspruchsteller wegen Kinderbetreuung, Alter sowie Krankheit und Gebrechen besteht. Denn in diesem Fall sind die Ansprüche auf Betreuungsunterhalt, Altersunterhalt und Krankheitsunterhalt vorrangig.
Der den Anspruch stellende geschiedene Ehegatte muss eine Erwerbstätigkeit ausüben, die angemessen ist. Welche Tätigkeit „angemessen“ ist, hängt von Alter, Ausbildung, möglichen früheren Tätigkeiten sowie Gesundheit und Fähigkeiten des Anspruchstellers ab. Hat etwa eine Akademikerin während der langjährigen Ehe fortlaufend als Floristin gearbeitet, obwohl sie mit ihrer Ausbildung ein höheres Arbeitsentgelt in einem entsprechenden Beruf hätte erzielen können, ist die Tätigkeit als Floristin auch weiterhin angemessen.
Aufstockungsunterhalt kann lediglich dann verlangt werden, wenn einer der geschiedenen Eheleute wesentlich mehr verdient als der andere. Das typische Beispiel hierzu ist, dass der anspruchsstellende Ex-Ehegatte während der Ehe nur ein verhältnismäßig geringes Einkommen verdient hat, während der frühere Ehepartner hohe Einkünfte erwirtschaften konnte.
Nach wohl überwiegender Auffassung der Juristen setzt das Begehren nach Aufstockungsunterhalt voraus, dass dieser mehr als 10% des bereinigten Nettoeinkommens des Anspruchstellers beträgt. „Bereinigtes“ Nettoeinkommen heißt, dass vom Einkommen des Anspruchstellers die berufsbedingten Aufwendungen (grundsätzlich 5% vom Nettoeinkommen), die berücksichtigungsfähigen Schulden (wie etwa ehebedingte Verbindlichkeiten) und die sonstigen abzugsfähigen Positionen abzuziehen sind. Hat also der Anspruchsteller beispielsweise ein bereinigtes Nettoeinkommen von 1.000 EUR monatlich, muss er mehr als 100 EUR monatlich von seinem früheren Ehepartner als Aufstockungsunterhalt fordern können. Ob das der Fall ist, richtet sich nach dessen bereinigtem Nettoeinkommen.
Schließlich muss der beanspruchte Ex-Ehepartner leistungsfähig sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass er selber finanzielle Mittel zur Bestreitung seiner eigenen Existenz benötigt. Hierzu ist ihm als Existenzminimum der sogenannte Eigenbedarf (Selbstbehalt) zu belassen, der gegenüber dem geschiedenen Ehegatten geleistet werden muss. Der Eigenbedarf ist unantastbar, steht also für Unterhaltszwecke nicht zur Verfügung.
Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass für den Aufstockungsunterhalt ebenfalls vom bereinigten Nettoeinkommen des beanspruchten Ex-Ehegatten auszugehen ist. Sind unterhaltsberechtigte minderjährige oder diesen gleichgestellte privilegierte volljährige Kinder (bis 21 Jahre, im Haushalt eines Elternteils lebend und in der allgemeinen Schulausbildung) vorhanden, ist dies von erheblicher Bedeutung. Denn zur Bereinigung des Nettoeinkommens gehört auch der Abzug des Kindesunterhalts, der gegenüber dem Ehegattenunterhalt vorrangig ist. Das kann zur Folge haben, dass keine oder nicht ausreichende finanzielle Mittel mehr zur Verfügung stehen.
Die Berechnung erfolgt anhand der allgemeinen Grundsätze für den Ehegattenunterhalt, also dem Trennungsunterhalt und dem Nachehelichen Unterhalt. Danach stehen dem unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten 3/7 der Differenz aus seinem bereinigten Nettoeinkommen und demjenigen des Unterhaltspflichtigen zu. Dem zur Zahlung verpflichteten Ex-Ehegatten verbleiben 4/7 dieser Differenz, bestehend aus 3/7 zuzüglich 1/10 Erwerbstätigenbonus (sogenannte Differenzmethode).
Praxisbeispiel: Die Eheleute F und M sind rechtskräftig geschieden. F übt eine angemessene Erwerbstätigkeit aus, mit der sie ein monatliches bereinigtes Nettoeinkommen von 1.200 EUR erzielt. Demgegenüber hat M während der Ehe ein monatliches bereinigtes Nettoeinkommen von 2.600 EUR erwirtschaftet. F fordert von M Aufstockungsunterhalt. Folge: Die Differenz aus beiden Einkommen beträgt 1.400 EUR monatlich (2.600 EUR monatliches bereinigtes Nettoeinkommen M – 1.200 EUR monatliches bereinigtes Nettoeinkommen F). Davon steht F ein Aufstockungsunterhalt in Höhe von monatlich 3/7 gleich 600 EUR zu. M verbleiben monatlich 4/7 gleich 800 EUR. Der Anspruch setzt voraus, dass dieser mehr als 10% des bereinigten Nettoeinkommens des Anspruchstellers beträgt. Das ist hier der Fall. Denn 10% des monatlichen bereinigten Nettoeinkommens von F sind 120 EUR. F erhält aber 600 EUR, also sogar 50% ihres eigenen Einkommens. Würde M noch zusätzlich Einkünfte aus Vermögen in Höhe von monatlich 1.000 EUR verdienen, stünden F davon nicht 3/7, sondern die Hälfte zu. Denn der Erwerbstätigenbonus gilt nur für Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit. Dagegen sind Vermögenseinkünfte hälftig zu teilen (sogenannter Halbteilungsgrundsatz).
Der Aufstockungsunterhalt kann wegen Unbilligkeit herabgesetzt und / oder zeitlich befristet werden.Dabei sind vor allem ehebedingte Nachteile von Bedeutung. Gemeint sind damit die Nachteile, die zumindest teilweise ihre Ursache in der Eheschließung und der Rollenverteilung in der Ehe haben. Hat etwa ein Ehepartner wegen der Ehe zugunsten der Haushaltsführung und Kinderbetreuung seine berufliche Karriere aufgegeben, liegt ein solcher Nachteil vor. Wurde dagegen der Entschluss der Berufsaufgabe weit vor der Ehe gefasst, scheidet ein ehebedingter Nachteil aus. Aufstockungsunterhalt kann dann nur aus Gründen der nachehelichen Solidarität für einen kurzen Übergangszeitraum beansprucht werden.
Aber auch wenn ehebedingte Nachteile vorliegen, wird der Aufstockungsunterhalt auf Antrag des Unterhaltspflichtigen vom Familiengericht regelmäßig herabgesetzt und / oder auf eine bestimmte Zeit befristet. Die Herabsetzung erfolgt dabei von demjenigen Unterhalt, der für den in der Ehe gewohnten Lebensstandard anfällt, auf den angemessenen Lebensbedarf bzw. den mindestens zu zahlenden Unterhalt. Dagegen lassen sich zur Dauer der zeitlichen Befristung keine allgemeingültigen Aussagen treffen. Maßgeblich ist wie so häufig der Einzelfall. So wurde etwa bei einer 17-jährigen Ehedauer eine zeitliche Befristung von vier Jahren für den Aufstockungsunterhalt als rechtens erachtet (Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Beschluss vom 25.02.2009, Az.: 2 UF 200/08).
Es sind bestimmte Sonderfälle möglich. Das betrifft zum einen den Fall des fiktiven Einkommens, also wenn der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte etwa mutwillig seine angemessene Erwerbstätigkeit aufgibt. Zum anderen gelten bei teilweisen Erwerbshindernissen des Unterhaltsberechtigten besondere Regeln.
Der Anspruch auf Aufstockungsunterhalt besteht nicht nur, wenn der Unterhaltsberechtigte eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübt, sondern auch wenn er diese ausüben kann (BGH, Urteil vom 18.01.2012, Az.: XII ZR 178/09). Gibt nun der geschiedene Ehegatte seine angemessene Erwerbstätigkeit aus von ihm verschuldeten Gründen absichtlich auf, muss er sich so behandeln lassen, als würde er die Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit auch weiterhin erzielen. Folge daraus ist, dass der Unterhaltsberechtigte wegen Verlust des Arbeitsplatzes keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterhalt nach § 1573 Abs. 1 BGB hat, sondern nur einen Anspruch auf Aufstockungsunterhalt, und zwar der Aufstockung seines fiktiv unterstellten Einkommens aus der mutwillig aufgegebenen Erwerbstätigkeit.
Das fiktive Einkommen spielt ohnehin speziell beim Arbeitslosenunterhalt eine große Rolle. Um diesen Unterhalt zu erhalten, muss der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte darlegen und beweisen, dass er trotz intensiver Bemühungen keinen angemessenen Arbeitsplatz finden kann. Gelingt ihm dieser Nachweis, besteht ein Anspruch auf Arbeitslosenunterhalt. Gelingt ihm dieser Nachweis aber nicht, muss sich der Unterhaltsberechtigte so behandeln lassen, als hätte er eine angemessene Erwerbstätigkeit gefunden. Folge daraus ist, dass er lediglich Aufstockungsunterhalt erhält. Dabei erstreckt sich der Unterhaltsanspruch auf die Aufstockung desjenigen Einkommens, das er bei Erhalt einer angemessenen Erwerbstätigkeit verdienen würde.
Besteht ein vollständiges Erwerbshindernis (etwa Betreuung eines bis zu drei Lebensjahren alten Kindes, Alter, Krankheit oder Gebrechen), scheidet ein Anspruch aus, da die anderen Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt vorrangig sind.
Anders ist es aber, wenn nur ein teilweises Erwerbshindernis besteht. Hier kann zu einem sonstigen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ein zusätzlicher Anspruch auf Aufstockungsunterhalt in Betracht kommen. Das ist etwa der Fall, wenn wegen der Betreuung eines über drei Jahre alten Kindes eine teilweise Erwerbsobliegenheit besteht.
Der Aufstockungsunterhalt ist einer der gesetzlichen Tatbestände für nachehelichen Unterhalt. Er kommt in Betracht, wenn einer von Ihnen zwar einer angemessenen Erwerbstätigkeit nachgeht, das Einkommen jedoch nicht ausreicht, um den ehelichen Lebensstandard zu halten. Die Aufstockung kann auch herabgesetzt oder zeitlich begrenzt werden. Es kommt stets auf Ihre individuelle Situation an.
Geschrieben von: iurFRIEND-Redaktion