Ihr Problem besteht darin, dass Sie nach der Scheidung keinen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt begründen können, weil Sie kein Kind betreuen, weder krank noch gebrechlich sind, arbeitsfähig sind und keine Aus-, Fortbildung oder Umschulung anstreben. Dennoch sehen Sie sich aufgrund Ihrer Lebensumstände außerstande, eigenes Geld zu verdienen. Trotz dieser scheinbar ungünstigen Gegebenheiten besteht eine Chance, dass Sie Unterhalt aus Billigkeitsgründen beanspruchen können, wenn Ihnen eine Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten ist. Da der Begriff „Billigkeitsgründe“ wenig verständlich ist, erklären wir, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Unterhalt aus Billigkeitsgründen in Betracht kommt.
Ihre Scheidung schließt Ihre Trennung formell ab. Hatten Sie bis dahin Trennungsunterhalt bezogen, endet Ihr Anspruch spätestens in dem Augenblick, in dem Ihre Scheidung rechtskräftig wird. Ab dem Zeitpunkt Ihrer Scheidung sind Sie für sich selbst verantwortlich und müssen eigenes Geld verdienen, um Ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten. Unterhalt können Sie von Ihrem Partner nur noch in Ausnahmefällen verlangen. Solche Ausnahmefälle beschreibt das Scheidungsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch. Nach der Scheidung steht Ihnen nur noch Unterhalt zu, wenn Sie aufgrund sogenannter ehebedingter Nachteile außerstande sind, eigenes Geld zu verdienen.
Voraussetzungen für den nachehelichen Unterhalt
Der Gesetzgeber definiert solche Lebenssachverhalte im Detail. In Betracht kommt, dass Sie ein Kleinkind erziehen, krank oder gebrechlich sind, trotz intensiver Suche keine Arbeit finden oder Ihnen eine Erwerbstätigkeit aufgrund Ihres fortgeschrittenen Alters nicht zuzumuten ist. Trifft keiner dieser Ausnahmefälle zu, formuliert das Gesetz einen weiteren Ausnahmetatbestand, nämlich den Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen.
Billigkeit ist ein typischer Rechtsbegriff. Der Gesetzgeber verwendet diesen Begriff immer dann, wenn die Worte fehlen, einen Lebenssachverhalt konkret zu beschreiben. Billigkeit bedeutet so viel wie Gerechtigkeit, Zumutbarkeit, Fairness. Befinden Sie sich in einer Lebenssituation, in der es Ihnen nicht zuzumuten ist, eigenes Geld zu verdienen, kann es trotzdem gerecht, zumutbar, fair und eben billig sein, dass Ihr Ehepartner Ihnen trotzdem nach der Scheidung Unterhalt zahlen muss. Sie erhalten dann Unterhalt aus Billigkeitsgründen. Im Gesetz ist dieser Unterhaltstatbestand so formuliert:
Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen Unterhalt verlangen, soweit und solange von ihm/ihr aus sonstigen schwerwiegenden Gründen eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann und die Versagung von Unterhalt unter Berücksichtigung der Belange beider Ehegatten grob unbillig wäre.
(§ 1576 BGB)
Es reicht nicht aus, wenn Sie Ihrem Ehepartner den Vorwurf machen, er oder sie habe infolge einer ehelichen Verfehlung Ihre Trennung und Scheidung verschuldet, so dass es billig und gerecht wäre, wenn er oder sie Ihnen jetzt Unterhalt zahlt. Genau diesen Aspekt schließt der Gesetzgeber jedoch aus, wenn er klarstellt, dass „schwerwiegende Gründe, die zum Scheitern der Ehe geführt haben, nicht allein deswegen berücksichtigt werden dürfen“ (§ 1576 S. 2 BGB). Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich, dass eheliche Verfehlungen kein Grund sind, Unterhaltsansprüche aus Billigkeitsgründen zu rechtfertigen. Auch der Ehebruch Ihres Partners oder Gewalttätigkeiten rechtfertigen keine Ausnahmefälle.
Ein Überblick zum Thema Unterhalt und Tipps für die Unterhaltsberechnung.
Verlangen Sie also Unterhalt aus Billigkeitsgründen, müssen Sie Gründe vortragen, die denen der übrigen Unterhaltstatbestände gleichwertig sind. Es geht also nicht darum, sämtliche Lebenssachverhalte zu erfassen, die aus der Sichtweise eines Ehepartners eine Unterhaltszahlung rechtfertigen könnten. Demgemäß ist die Rechtsprechung auch sehr restriktiv, wenn es darum geht, Unterhalt aus Billigkeitsgründen geltend zu machen.
Expertentipp: Sie müssen diese Vorschrift im System der übrigen Unterhaltstatbestände verstehen. Diese Unterhaltstatbestände stellen auf sogenannte ehebedingte Nachteile ab, wegen derer es einem Ehepartner nicht zuzumuten ist, nach der Scheidung eigenes Geld verdienen zu müssen. Erziehen Sie ein gemeinsames Kind, ist es Ihnen im Interesse der gedeihlichen Erziehung des Kindes nicht zuzumuten, arbeiten zu gehen und das Kind sich selbst oder der Obhut anderer zu überlassen. Finden Sie trotz intensiver Recherchen keinen Arbeitsplatz, muss Sie Ihr Ehepartner darin unterstützen, Ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten. Haben Sie also während der Ehe Ihr Kind betreut oder waren in Absprache mit Ihrem Ehepartner nicht berufstätig, sind Sie wegen der Scheidung mit ehebedingten Nachteilen konfrontiert. Dann ist es angemessen, fair und gerecht, wenn Ihr Ehepartner Sie mit Unterhaltszahlungen auch noch nach der Scheidung unterstützt.
Sie können jetzt nachvollziehen, dass Unterhalt aus Billigkeitsgründen ein Ausnahmetatbestand ist und die Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen einen Anspruch anerkennt. Jetzt stellt sich die Frage, in welcher Lebenssituation ein Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen überhaupt in Betracht kommt. Die Rechtsprechung stellt dabei allgemein darauf ab, dass Sie sich gegenüber Ihrem geschiedenen Ehepartner besonders loyal verhalten haben und allein dieses Verhalten Gründe liefert, die es fair, billig und gerecht erscheinen lassen, Sie mit Unterhaltszahlungen zu unterstützen.
Die Menschen sind da, um einander zu helfen, und wenn man eines Menschen Hilfe in rechten Dingen nötig hat, so muß man ihn dafür ansprechen.
Dabei geht es in der Praxis vorwiegend um folgende Fälle:
Pflegen Sie einen Angehörigen Ihres geschiedenen Ehepartners, hätten Sie normalerweise im Hinblick auf die „normalen“ Unterhaltstatbestände keinen Anspruch auf Unterhalt. Die Pflegeleistung für Angehörige ist nicht als Unterhaltstatbestand formuliert. Pflegen Sie aber einen Angehörigen Ihres Partners und haben deshalb eine eigene Erwerbstätigkeit aufgegeben oder eingeschränkt, ist es angemessen, fair, billig und gerecht, Ihren Ehepartner dafür in die Pflicht zu nehmen. Dies gilt umso mehr, wenn er oder sie selbst Geld verdient und in der Lage ist, Sie unterhaltsrechtlich zu unterstützen. Je aufopferungsvoller Sie die Pflege ausüben, desto mehr ist der Ehepartner in der Verantwortung und umso besser sind Ihre Chancen, Unterhalt aus Billigkeitsgründen zu erhalten.
Hat Ihr Ehepartner während Ihrer langjährigen Ehe das Geld verdient, während Sie Ihren Beruf aufgegeben oder in gegenseitiger Absprache auch nie gearbeitet haben, dafür aber Haus, Haushalt und Kinder betreut haben, kommt nach der Scheidung im Ausnahmefall ein Anspruch auf Unterhalt aus Billigkeitsgründen in Betracht. Dabei wird in der Praxis meist darauf abgestellt, dass es Ihnen angesichts Ihres Alters im Hinblick auf Ihre langjährige Ehe nicht zuzumuten wäre, jetzt noch arbeiten zu gehen. Ein normaler Unterhaltsanspruch wegen Erwerbslosigkeit besteht meist nicht, weil Sie arbeitsfähig sind und an sich eigenes Geld verdienen könnten. Dennoch kann es unzumutbar erscheinen, wenn Sie jetzt noch arbeiten gehen müssten.
Praxisbeispiel: Sie haben gerade silberne Hochzeit gefeiert, als Ihr Ehepartner offenbart, dass er oder sie einen anderen Partner kennengelernt hat und sich scheiden lassen will. Sind Sie selbst im fortgeschrittenen Alter, kann es Ihnen nicht zuzumuten sein, sich jetzt noch im Arbeitsmarkt zurechtfinden zu müssen. Hinzu kommt, dass Sie Ihrem Ehepartner den Vorwurf machen können, dass er aus Ihrer Lebensgemeinschaft ausgebrochen ist und es ungerecht, unfair und unbillig wäre, Sie jetzt allein zu lassen mit der Notwendigkeit, eigenes Geld verdienen zu müssen.
Sie haben im Normalfall Anspruch auf Betreuungsunterhalt, wenn Sie nach der Scheidung ein gemeinsames Kind betreuen und deshalb nicht arbeiten gehen können. Betreuen Sie jedoch ein Pflegekind, besteht dieser Normalfall „Betreuung gemeinsames Kind“ nicht. Sie hätten dann keinen Anspruch auf Betreuungsunterhalt. Erziehen Sie jedoch ein in Übereinstimmung mit Ihrem geschiedenen Ehepartner während der Ehe aufgenommenes Pflegekind, können Sie sich nach der Scheidung dieser Verantwortung nicht einfach entledigen. Gleiches gilt für Ihren geschiedenen Ehepartner. Es erscheint dann fair, billig und gerecht, wenn Ihr Ehepartner auch nach der Scheidung in der Verantwortung bleibt und Sie mit Unterhaltszahlungen unterstützt. Der Anspruch lässt sich umso besser begründen, als Sie das Pflegekind bereits in jungen Jahren in Ihre Familie aufgenommen haben oder sich über viele Jahre hinweg um das Pflegekind gekümmert haben. Kommen noch gesundheitliche Beschwerden hinzu, lässt sich Ihre Situation noch nachhaltiger begründen.
In der kleinen Welt, in welcher Kinder leben, gibt es nichts, dass so deutlich von ihnen erkannt und gefühlt wird, als Ungerechtigkeit.
Hat Ihr Ehepartner aus einer früheren Beziehung ein Kind in Ihre Ehe eingebracht, das Sie nach der Scheidung weiter betreuen, ist es genau wie bei einem Pflegekind gerechtfertigt, Ihnen einen Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen zuzuerkennen. Das, was für das Pflegekind gilt, gilt auch für ein Stiefkind.
Leben Sie in einer gleichgeschlechtlichen eingetragenen Partnerschaft oder Ehe und haben ein Kind adoptiert, wegen dem Sie Ihre Berufstätigkeit aufgegeben oder eingeschränkt hatten, kann es fair, billig und gerecht sein, wenn Ihr eingetragener Lebenspartner oder Ehepartner, der das Kind nicht adoptiert hat, auch nach der Scheidung finanziell in der Verantwortung bleibt. Gleiches dürfte gelten, wenn Sie das Kind selbst geboren haben und die Ehepartnerin einverstanden war, dass Sie dieses Kind bekommen.
Es geht also nicht um Fälle der Sukzessivadoption, bei der das Kind von beiden Partnern adoptiert wird. Die Adoption führt dazu, dass das Kind als eigenes und damit als gemeinschaftliches Kind anzusehen ist, für das Sie nach der Scheidung oder der Aufhebung Ihrer eingetragenen Lebenspartnerschaft als Normalfall Betreuungsunterhalt erhalten können.
Die Rechtsprechung hat solche Fälle bislang, soweit ersichtlich, nicht entscheiden müssen. Da der Sachverhalt aber mit der Aufnahme eines Pflegekindes in die Ehe vergleichbar ist und ein entsprechendes Vertrauen der Partner begründet, dürften Fälle dieser Art gleichfalls einen Anspruch auf Unterhalt aus Billigkeitsgründen begründen.
Praxisbeispiel: Sie leben in einer gleichgeschlechtlichen Ehe. Beide Partner wünschen ein Kind. Sie lassen sich in den Niederlanden mit dem Samen eines anonymen Spenders künstlich befruchten. Ihre Partnerin adoptiert das Kind nicht. Als Sie sich trennen, weigert sich die Partnerin, Ehegattenunterhalt zu zahlen, da sie das Kind nicht adoptiert habe. Da Sie die Entscheidung, das Kind in die Welt zu setzen, gemeinsam getroffen haben, erscheint es billig, fair und gerecht, wenn auch Ihre Partnerin nach der Scheidung finanziell in der Verantwortung für Sie und das Kind bleibt.
Zwischen Ihrer Scheidung und Ihrer Bedürftigkeit muss ein direkter Zusammenhang bestehen. Wenn Sie Unterhalt aus Billigkeitsgründen beanspruchen wollen, muss der dafür maßgebliche Grund im Zeitpunkt Ihrer Scheidung bestanden haben. Geht es um die Pflege eines Angehörigen des Ehepartners, müssen Sie den Angehörigen im Zeitpunkt der Scheidung gepflegt haben. Tritt die Pflegebedürftigkeit erst nach der Scheidung ein, fehlt es an einem Zusammenhang mit der Scheidung. Ein Unterhaltsanspruch wäre dann nicht zu begründen.
Erhalten Sie aus irgendeinem Billigkeitsgrund Unterhalt, besteht der Anspruch nur „soweit und solange“ Ihnen keine Erwerbstätigkeit zuzumuten ist.
Praxisbeispiel: Pflegen Sie nach der Scheidung die Mutter Ihres Ehepartners, endet Ihr Anspruch auf Unterhalt, wenn die Mutter nicht mehr pflegebedürftig oder verstorben ist. Danach sind Sie für Ihren Lebensunterhalt selbst verantwortlich.
Da Sie etwas fordern, müssen Sie den Beweis dafür liefern, dass Ihre Forderung begründet ist. Sie müssen also darlegen und begründen, dass es Ihnen aus schwerwiegenden Gründen nicht zuzumuten ist, nach der Scheidung eigenes Geld zu verdienen. Demgemäß müssen Sie auch begründen, dass es aus diesen Gründen ungerecht, unfair und unbillig wäre, Sie auf eine Erwerbstätigkeit zu verweisen. Umgekehrt muss Ihr geschiedener Ehepartner, den Sie auf Unterhalt aus Billigkeitsgründen in Anspruch nehmen, darlegen und beweisen, warum es Ihnen zuzumuten ist, mit eigener Erwerbstätigkeit eigenes Geld zu verdienen.
Expertentipp: Betrachten Sie den Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen als Ausnahmesituation. Klagen Sie Ihre Forderung ein, tragen Sie das Risiko, dass Sie Ihre Forderung nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen können. Interpretieren Sie Ihre Forderung immer im Hinblick auf die Regelunterhaltstatbestände und verstehen Sie Ihren Unterhaltsanspruch aus Billigkeitsgründen als Ausnahmesituation.
Geht es um Unterhalt nach der Scheidung, wird viel gestritten. Meist geht es um die Höhe des Unterhalts. Eine Lösung kann darin bestehen, dass Sie Ihre Forderung realistisch bewerten oder als eventuell unterhaltspflichtiger Ex-Partner anerkennen, dass Ihr Partner in einer Ausnahmesituation ist. Wenn Sie sich dann außergerichtlich verständigen, den Unterhaltsanspruch auf eine bestimmte Höhe festzulegen und diesen möglichst zeitlich einzuschränken, sollte eine Verständigung möglich sein. Sie ermöglichen sich damit den Weg zu einer einvernehmlichen kostengünstigen Scheidung. Zugleich vermeiden Sie eine streitige kostenträchtige Auseinandersetzung vor Gericht.
Geschrieben von: iurFRIEND-Redaktion