Wann muss man die Selbstständigkeit aufgeben?

Wann man wegen Unterhalt wieder Arbeitnehmer werden muss, wann nicht

Mann Und Frau Halten Sparschwein iurFRIEND® AG

Mittwoch, 08.11.2023 , geschrieben von iurFRIEND-Redaktion

Wer selbstständig tätig ist, trägt das Risiko, nicht genügend Geld zu verdienen und den Unterhalt nicht zahlen zu können. Wer den gesetzlichen Grundsatz ernst nimmt, sich in zumutbarer Weise um ein angemessenes Arbeitseinkommen zu bemühen, steht vor der Frage, ob und wann die Selbstständigkeit zugunsten einer besser bezahlten Tätigkeit aufgegeben werden muss. Welche Kriterien Sie bei Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen sollten. PS: Sollten Sie als Unterhaltszahler oder –empfangender sofort Interesse an einer Berechnung haben, können Sie gern schon jetzt unser Online-Formular dafür hier ausfüllen.

Wann müssen oder sollten Sie Ihre Selbstständigkeit aufgeben?

Unabhängig davon, ob Sie Unterhalt zahlen müssen oder nicht, werden Sie Ihre Selbstständigkeit wahrscheinlich aufgrund der Gegebenheiten aufgeben, wenn sich Ihre Geschäftsidee nicht lohnt und die Kosten die Erträge übersteigen. Es ist dann allein bereits ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft, seinen Lebensunterhalt anderweitig zu verdienen.

 

Ihre Situation ist mit Elternteilen zu vergleichen, die in Teilzeit arbeiten oder nur im Rahmen einer Nebentätigkeit Geld verdienen. Reicht der Verdienst nicht aus, um den Kindesunterhalt zu gewährleisten, muss sich der Elternteil um eine Vollzeitstelle oder eine besser bezahlte Arbeit bemühen. Auch insoweit besteht eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Ein Elternteil kann sich nicht einfach damit herausreden, dass er/sie nur in Teilzeit arbeite oder nur eine Nebenbeschäftigung ausübe. Gleiches gilt aber auch für einen in einer Vollzeitbeschäftigung tätigen Elternteil, der im Hinblick auf bestehende Verbindlichkeiten zur Abdeckung des Kindesunterhalts gegebenenfalls eine Nebenbeschäftigung zusätzlich ausüben muss.

Welche Rolle spielt das Potenzial der Geschäftsidee?

Sie können natürlich argumentieren, dass Ihre Geschäftsidee großes Potenzial hat und Sie einen gewissen Zeitraum benötigen, um Ihr Unternehmen zu entwickeln. In diesem Fall wäre es wirtschaftlich nicht unbedingt angebracht, Ihre Selbstständigkeit aufzugeben, nur um in einer Angestelltentätigkeit Geld für den Unterhalt zu verdienen.

 

Wenn die selbstständige Tätigkeit das Potenzial hat, in Zukunft ein ausreichendes Einkommen zu erzeugen, kann es sein, dass das Familiengericht im Unterhaltsrechtsstreit eine Art Übergangszeit zugesteht, in der sich Ihre Geschäftsidee bewähren muss. Tritt der Erfolg nicht ein, werden Sie Ihre Tätigkeit aufgeben müssen.

 

Auch wenn gewöhnlich von einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren Anlaufzeit ausgegangen wird, muss die Dauer der Anlaufphase individuell und branchenbezogen bestimmt werden.

 

In diesem Zusammenhang wird oft die Rolle von "Liebhaberei"-Tätigkeiten beleuchtet. Dies ist ein Begriff aus dem Steuerrecht. Danach erkennt das Finanzamt aus der selbstständigen Tätigkeit entstehende Verluste nur an, wenn die Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, Gewinne zu erzielen und Verluste zu vermeiden. Ist dies nicht der Fall, wird Liebhaberei unterstellt. Dann werden die Verluste einkommenssteuerrechtlich nicht anerkannt.

Praxisbeispiel

Selbstständiger Onlineshop-Betreiber

Der Vater eines Kindes betrieb einen Onlineshop. Aus den Erträgen konnte er keinen Kindesunterhalt leisten. Eine angestellte Tätigkeit hatte er aufgegeben, um sich besser dem Betrieb widmen zu können. Das Oberlandesgericht des Saarlandes (Beschluss 28.4.2010, Az. 9 WF 41/10) stellte klar, dass der Mann sich nicht auf seine Leistungsunfähigkeit berufen könne. Gegenüber seinen minderjährigen Kindern stehe er in einer gesteigerten Erwerbspflicht und müsse sich unterhaltsrechtlich ein theoretisch erzielbares fiktives Einkommen aus einem Beschäftigungsverhältnis (am Beispiel in Höhe von mindestens 1448 €) anrechnen lassen.

Praxisbeispiel

Angestellte Rechtsanwältin gründet eigene Kanzlei

In einem Fall des OLG Dresden (Beschluss vom 4.12.2015, Az. 20 UF 875/15) hatte die unterhaltspflichtige Mutter eines Kindes ihr bestehendes Arbeitsverhältnis als angestellte Rechtsanwältin gekündigt und sich selbstständig gemacht. In der Gründungsphase hatte sie nur eingeschränkte Verdienstmöglichkeiten und konnte den Unterhalt nicht zahlen. Das Gericht stellte klar, dass es der Frau nicht vorzuwerfen sei, in die Selbstständigkeit gewechselt zu sein. Es sei zuzugestehen, in die wirtschaftlich unsichere Selbstständigkeit zu wechseln und für einen gewissen Zeitraum geringere Verdienstmöglichkeiten in Kauf zu nehmen. Hinzu kam in diesem Fall, dass der Vater als betreuender Elternteil dreimal so viel verdiente wie die Frau und der Unterhalt der Kinder insoweit gesichert war.

Welche Bedeutung haben fiktive Einkünfte?

Im Unterhaltsrecht besteht die Besonderheit, dass theoretisch erzielbare, sogenannte fiktive Einkünfte zur Anrechnung kommen können. Ein fiktives Einkommen ist ein Einkommen, das ein Elternteil theoretisch erzielen könnte, wenn er oder sie sich angemessen um eine zumutbare bezahlte Arbeit bemühen würde. In der Konsequenz führt die Zurechnung eines fiktiven Einkommens dazu, dass der Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils reduziert werden kann. Ein Elternteil, der beispielsweise nur über ein geringes selbstständiges Einkommen verfügt, muss damit rechnen, dass der Selbstbehalt auf gerichtlichen Beschluss herabgesetzt wird und er aus dem verfügbaren Einkommen wenigstens teilweise den Kindesunterhalt bedienen muss.

Selbstständigkeit aufgeben - was ist dann mit dem unterhaltsrelevanten Einkommen?

Das unterhaltsrelevante Einkommen bestimmt sich bei Selbstständigen nach einem mehrjährigen Jahresdurchschnitt. Im Regelfall wird der Durchschnitt der letzten drei Jahre zugrunde gelegt. Bei einem seit kurzem betriebenen Unternehmen ist der jeweilige Jahresertrag maßgebend. Geben Sie Ihre Selbstständigkeit auf, ist im Regelfall trotzdem das Einkommen der Vergangenheit maßgebend.

 

Dabei kann im Einzelfall Berücksichtigung finden, dass Sie infolge der Aufgabe Ihrer Tätigkeit aktuell kein Einkommen erzielen. Sollten Sie mit dem Unterhaltsberechtigten im Streit liegen, wäre darüber zu verhandeln, die Unterhaltsforderungen aufzuschieben und die Entwicklung Ihrer Verhältnisse abzuwarten.

Was passiert, wenn ich meine Selbständigkeit aufgebe?

Rechnet sich Ihre Geschäftsidee nicht, haben Sie die Freiheit, jederzeit Ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Waren Sie gewerblich tätig, genügt es, die Tätigkeit beim Gewerbeamt abzumelden. Waren Sie als Einzelunternehmer oder Freiberufler tätig, besteht Ihre Haftung für eventuell begründete Verbindlichkeiten fort. Sie stehen jetzt vor der Herausforderung, Geld für Ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im Idealfall schreiben Sie Bewerbungen und finden eine angestellte Tätigkeit, mit der Sie den Unterhalt bezahlen können.

Kann ich mich nach Selbstständigkeit arbeitslos melden?

Geben Sie Ihre Selbstständigkeit auf, kann es sinnvoll sein, sich arbeitslos zu melden. Da Sie als Selbstständiger nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, haben Sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Meldung bei der Agentur für Arbeit hilft aber, dass Sie bei der Suche nach bezahlten Tätigkeiten unterstützt werden und Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern bekommen. Die frühzeitige Arbeitssuchendmeldung ist auch telefonisch, schriftlich oder online möglich. Möglicherweise erhalten Sie Unterstützungsleistungen, wenn Sie sich in einem angelernten Beruf fortbilden oder umschulen lassen.

Besteht eine Insolvenzantragspflicht?

Sind Sie als Einzelunternehmer tätig, stehen Sie nicht in der Insolvenzpflicht. Sie brauchen keine Insolvenz zu beantragen, wenn Ihre Verbindlichkeiten Ihr Einkommen und Ihre Vermögenswerte übersteigen. Sofern Sie keine Perspektive sehen, um Ihre Verbindlichkeiten zu bereinigen, kann sich aus eigener Initiative die Privatinsolvenz empfehlen. Auch ein Gläubiger kann die Privatinsolvenz beantragen und Sie in das Verfahren zwingen.

 

Wird das Verfahren eröffnet, durchlaufen Sie drei Jahre lang die sogenannte Wohlverhaltensphase, in der Sie Ihr pfändbares Einkommen (Gehalt, Rente) an einen vom Gericht bestellten Treuhänder abtreten, der das Geld anteilig an Ihre Gläubiger verteilt. Beziehen Sie in dieser Zeit Bürgergeld, das in der Höhe nach nicht pfändbar ist, steht Ihnen trotzdem die Tür zur Privatinsolvenz offen („Nullösung“). Nach drei Jahren sind Sie Ihre Verbindlichkeiten los und gelten wieder als schuldenfrei.

 

Sind Sie unterhaltspflichtig, können Sie zudem verpflichtet sein, allein aus diesem Grund Privatinsolvenz zu beantragen, eben mit dem Ziel, nach ca. drei Jahren schuldenfrei zu sein und aus dem dann hoffentlich verfügbaren Einkommen Ihrer Unterhaltspflicht nachzukommen. Die Insolvenz und die damit am Ende einhergehende Entschuldung (Restschuldbefreiung) sind insoweit Teil Ihrer gesteigerten Erwerbspflicht, durch Sie alles tun müssen, um Ihrer Verantwortung als Elternteil gerecht zu werden.

Alles in allem

Sind Sie selbstständig tätig, gilt es im Hinblick auf wirtschaftlich schwierige Gegebenheiten, tagtäglich die Entwicklung des Unternehmens im Auge zu behalten. Wichtig ist, die Gegebenheiten realistisch zu betrachten und sich nicht der objektiv nicht begründeten Erwartung hinzugeben, es werde sich alles zum Guten entwickeln. Es kann sich empfehlen, dass Sie Ihr Engagement von dritter Seite kritisch beurteilen lassen und in Anbetracht aller Kriterien die Entscheidung treffen, Ihre Selbstständigkeit fortzuführen oder vielleicht doch besser aufzugeben.